Acht beerdigt, Tausende weiterhin verschwunden

Der 30. August ist der internationale Tag der Verschwundenen. Zu diesem Gedenktag fanden in ganz Guatemala verschiedenste Aktionen statt. Im internen bewaffneten Konflikt, der 36 Jahre dauerte, wurden mehr als 45’000 Personen gewaltsam verschwunden gelassen. Der Grossteil von ihnen wurde letztmalig in der Gewalt des Militärs oder der Polizei gesehen und tauchte seitdem nicht mehr auf. Ihre Angehörigen suchen die „desaparecidos“ seit mehr als 30 Jahren

Meine erste Reise als internationale Menschenrechtsbegleiterin führte mich nach Cobán, Hauptstadt der Provinz Baja Verapaz. Dort wurden am 30. August 2016 die sterblichen Überreste von acht dieser 45’000 vermissten Personen ihren Familien übergeben. FAMDEGUA (eine Organisation von Angehörigen von Verschwundenen) richtete den Anlass in Zusammenarbeit mit der FAFG (einem Insititut für anthropologische Forensik, welches die Exhumierung und Identifikation der Opfer übernommen hatte) aus.

Die Übergabe der sterblichen Überreste fand in einem Konvent in Cobán statt. Nach einem ökumenischen Gottesdienst betteten Anthropologen der FAFG die Gebeine der Opfer in die vorgesehenen Särge. Vertreter der Organisationen begleiteten im Anschluss die Opferfamilien in ihre jeweiligen Gemeinden, wo die Vermissten über 30 Jahre nach ihrem Tod gemäss dem Glauben ihrer Familien beigesetzt werden konnten.

Aura Elena Farfán, die Präsidentin von FAMDEGUA, berichtete uns, dass die Übergabe der sterblichen Überreste für die Familien mit den verschiedensten Gefühlen verbunden seien. Erleichterung einerseits, weil sie den Körper des Familienmitgliedes endlich gefunden hätten und weil die Toten endlich zurück nach Hause kämen. Aber auch Wut. Wut, weil diese Körper Zeugnis seien, dafür dass diese Menschen gefoltert, getötet und vielfach einfach so im Boden verscharrt worden seien.

Die Überreste der acht Opfer waren bei Exhumierungsarbeiten in verschiedenen Massengräbern auf dem Gelände der Zona Militar 21 in Cobán, welche heute unter dem Namen CREOMPAZ bekannt ist, gefunden worden. In der Militärbasis exhumierten Anthropologen bis heute 565 Opfer des bewaffneten Konfliktes. Etwas mehr als 100 Personen konnten bislang identifiziert werden.

Aktuell befinden sich zehn hohe Verantwortliche eben dieser Militärzone in Untersuchungshaft. Ihnen werden gewaltsames Verschwindenlassen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 565 Fällen vorgeworfen. Das Verfahren im Fall ist jedoch, wie zahlreiche andere Prozesse der Übergangsjustiz, im Moment wegen strategischer Einsprüche der Militärs unterbrochen.

ACOGUATE beobachtet einerseits die juristische Aufarbeitung wie im Fall CREOMPAZ,  gleichzeitig aber auch Aktivitäten zur Vergangenheitsbewältigung der Überlebenden des bewaffneten Konfliktes. Unsere Anwesenheit bei der Beerdigung dieser acht Personen hatte eine doppelte Intention: Einerseits erhöht die internationale Präsenz die Sicherheit der Überlebenden, welche oftmals als Zeugen des Geschehenen Drohungen ausgesetzt sind. Für die Familien der Verschwundenen ist es gleichzeitig sehr wichtig, dass die internationale Gemeinschaft erfährt, was ihren Verwandten angetan wurde und weshalb sie selbst heute noch Gerechtigkeit suchen.

Im Rahmen der Zeremonie in Cobán am 30. August 2016 äusserte sich ein Familienmitglied gegenüber der Presse : „Heute erhalte ich meinen Onkel zurück, aber meine Eltern suche ich nach wie vor. All diese Opfer erhielten nicht die Gelegenheit für einen Prozess. Aber die Leute, die das zu verantworten haben, bekommen einen Prozess.“

Aura Elena Farfán von FAMDEGUA sagte uns, dass die Versöhnung für die Familien der Verschwundenen gerade deshalb so schwierig sei, weil sie gar nicht wüssten, wer denn der Adressat dieser Versöhnung wäre. „Wir sollen vergeben, aber ich weiss gar nicht, wer das alles getan hat. Wer hat mein Familienmitglied getötet, wer hat gefoltert, wer hat das Massengrab ausgehoben?

Sowohl für die Angehörigen als auch die forensischen Anthropologen (FAFG) und die Vereinigung der Familienmitglieder von verschwundenen Verhafteten (FAMDEGUA) war dieser 30. August nur ein kleiner Schritt in ihrem Kampf für Gerechtigkeit. Acht Familien können ihre Vermissten begraben, tausende suchen auch nach mehr als 30 Jahren weiter und der juristische Prozess gegen die Verantwortlichen hat gerade erst begonnen.

Cécile Bannwart, 12. September 2016

Quelle: http://www.prensacomunitaria.org/coban-alta-verapaz-los-restos-de-nueve-personas-desaparecidas-vuelven-a-casa/

Nachtrag:

In Spanisch anbei sehr schöne Reportagen über die Geschichten von zwei der acht beerdigten:

https://www.plazapublica.com.gt/content/creompaz-y-el-pequeno-ataud-blanco-de-marta-elena

http://cpr-urbana.blogspot.com/2016/08/es-mejor-conocer-la-verdad-sea-buena_30.html

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